Mehr oder weniger ausgeschlafen habe ich mich heute, Samstag 20.11.2010, zusammen mit meinem chinesischen Kollegen auf den Weg in die Stadt gemacht. Per Taxi ging es direkt an den Tiger Hill, eine der Sehenswürdigkeiten der alten Kaiserstadt Suzhou. Vor ca. 2.500 Jahren war dies die Hauptstadt des damals noch recht zerklüfteten Reiches. Und auch genau zu dieser Zeit wurde der Tiger Tower auf dem gleichlautenden Berg errichtet – in indischem Baustil!
Schon auf dem Weg dorthin habe ich wie schon hundertfach zuvor erlebt, dass nicht der Flug nach China, sondern die Fortbewegung vor Ort ein das weitaus höhere Risiko birgt, dieses Land in der Waagerechten wieder zu verlassen. Diese Gefahr unbeeindruckt ignorierend schieben und drücken sich hunderte, nein tausende kleiner Landesbewohner auf ihren Elektrorollern vor unser Taxi, aus allen Richtungen. Alles fließt, es kommt einem so vor, dass dieses Chaos System hat und das eine das andere bedingt, das Taxi kann nicht ohne den Roller und umgekehrt. Im Übrigen sind uns hier unsere fernöstlichen Nachbarn in Sachen Umweltschutz voraus. Nahezu alle Roller, welche ab ca. 800 RMB zu haben sind, lassen sich mittles eines kleines Elektromotors fortbewegen, nahezu geräuschlos und ergo schadstoffarm im Gebrauch. Leider übertreiben es die Kinder der Mitte ein wenig mit der Ökologie, da abends gerne mal aus Stromspargründen und der damit einhergehenden längeren Batterielaufzeit, das Fahrlicht abgeschaltet ist.
Schon beim Aufstieg auf den Tiger Hill stelle ich mit Verwunderung fest, dass ich wohl einer der wenigen Nichtchinesen bin, der sich an diesem Tag aufgemacht hat, die Stadt zu erkunden. Dies wird auch den restlichen Tag über so bleiben. Den Rest des Vor- und Frühnachmittages tauche ich, nach langer Zeit, einmal wieder in das richtige oder besser gesagt ursprüngliche Leben der Landesbewohner ein. Fern ab jeglichen Touristenstroms befinde ich mich in einer der typischen Wohngegenden, welche vor allem im Inneren des Landes üblich sind. Schmale Sträßchen, einfache Häuser mit noch einfacherer Ausstattung, in welchen mehrere Generationen leben, reihen sich aneinander. Bereits vor zehn Jahren, als ich das erste Mal zum halbjährigen Studienaufenthalt im Zentrum des Landes gelebt habe, habe ich die Lebensumstände teils mit Erschrecken wahrgenommen. Kaum zu glauben, dass auf engstem Raum Vergangenheit und Moderne so stark aufeinander prallen.
Beim Gang durch die kleinen Gässchen bietet sich mir ein wohlbekanntes Bild. Links und rechts werden allerhand Waren, vorwiegend Lebensmittel angeboten. Das Wort Lebensmittel ist wörtlich zu nehmen. Dicht gedrängt, befinden sich ca. 20 Hühner in einem Metallkäfig, welcher nicht größer ist als ein Flachbildfernseherkarton. Da soll sich noch einmal ein EU-Huhn über die Legebatterienhaltung beschweren! Nicht viel weiter geht es ebenfalls um Gefieder, dieses Mal jedoch um dessen Erzeugnisse in Form von tausendjährigen Eiern. Dabei handelt es sich um, in einer dunkeln, fast schon schwarzen Flüssigkeit eingelegte Hühnereier, die beim Öffnen nicht nur einen, gelinde gesagt strengen Geruch entfalten. Auch das Eigelb kommt in schwarzer Farbe, das Eiweiß in einem flotten Rot daher. In einer weiteren Schale befinden sich, ebenfalls in einer Art Lake eingelegte Eier. Diese jedoch beinhalten, nach Aussagen meines Geschäftschinesen und auch teilweise erkennbar, fehlgeborene Küken – einen guten Appetit wünsche ich! Auf dem Weg zurück ins Hotel wird der unaufhaltsame und rasend schnell vollzogene Wandel, welchen dieses Land durchläuft, deutlich. Wir würden sie Altbauten nennen, welche kühlen, gesichtlosen und in den Himmel ragenden Neubauten weichen müssen. Warum sollte nicht auch China die Fehler begehen dürfen, welche in unserem Land in den 50-90er Jahren vollzogen wurden?
Baibai heißt es einen Tag später. Ein Lieferanten-Treffen vormittags, sowie die Fahrt nach PuDong/Shanghai liegen hinter mir, ich sitze af 48K in SQ833 der Singapore Airlines auf dem Weg nach Singapur, als ich diesen Artikel schreibe. In fünfeinhalb Stunden werde ich meinen Pullover ob der schwülen Wärme ablegen und mich auf den Schlaf an der Orchard Road freuen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen