Dienstag, 30. November 2010

Ausnahmezustand


5 Tage war es her, dass ich aus Asien zurückgekehrt bin. Den Jetlag sensationell gut überstanden kann ich mich nun auf den Weg in die Vereinigten Staaten machen. Der Weg soll mich über Kopenhagen nach Chicago führen, eine mir gut bekannte Strecke mit der mir ebenfalls auf Langstrecke bekannten Scandinavian Airlines (SAS). Obwohl ich der SAS die LH oder LX vorziehe, muss ich konstatieren, dass diese einen guten Service und zudem ein angenehmes Sitzkonzept in der Business Class bietet. Letztendlich ist der Preis der Trumpf im Ärmel der SAS, ist der Flug doch gut 40% günstiger als direkt ab Frankfurt bspw. mit der LH.
Es hat geschneit. Bereits Sonntagabend bedeckten zarte Flöckchen, einem Puderzuckergeriesel gleichend, die Bordsteine und daran parkende Autos vor unserem Haus. Der Anblick auf die weiße Pracht ist ein guter Start in den Tag nach dem Hochziehen der Rolläden. Ich werde wieder den Zug nutzen, um an den Flughafen zu gelangen. Genügend Puffer habe ich eingebaut um, ob der Wetterbedingungen, nicht in Schwierigkeiten zu kommen und womöglich meinen Flug nicht erreichen zu können. Wetterbedingte Störungen, weshalb mein ICE zum Frankfurter Flughafen 15 Minuten später eintrifft, sollen ein Vorbote dessen sein, was ich an diesem und dem darauf folgenden Tag noch zu erwarten habe. Als hätte ich es geahnt, sehe ich auf der Anzeigetafel im Terminal 1 Halle A, dass mein Flug nach Kopenhagen annulliert wurde. Wir schreiben 10:45 Uhr, die Odyssee beginnt!
Am First-Class Check-In-Schalter der LH wird mir mitgeteilt, dass ich auf eine LH-Maschine über Detroit nach Chicago umgebucht wurde, mir mein Ticket jedoch am gegenüberliegenden Schalter ausstellen lassen müsste. Gut 20 Minuten später halte ich nun dieses Ticket in den Händen und gebe hoffnungsvoll das Gepäck ab. Das Anschlussticket von Detroit nach Chicago muss ich mir in Detroit holen, ein Ausdruck ist leider nicht möglich. Ich ahne es, es ziehen dunkle Wolken auf …
Zunächst jedoch läuft alles unter den gegebenen Umständen rund, ich sitze nach mehrfachen Passkontrollen in der Tower-Lounge in Halle A. Zwei Wienerl auf dem Teller und dem Laptop auf dem Schoß blicke ich nach draußen auf die verschneiten Flugzeuge und die Rollbahnen. Ein schöner Anblick denke ich mir, schneit es doch unaufhörlich, wenn auch winzige Flöckchen. Da ich es nicht weit zum Gate habe erledige ich noch einiges an Arbeit, bevor ich gegen 13:00 Uhr den Bus zum Flugzeug besteige. Nicht oft kommt es vor, dass ein Interkontinentalflug von einer Außenposition startet. Ich scheine lange Anfahrten magisch anzuziehen, erreichen wir doch nach erst 15 Minuten den Airbus A330 auf der allerletzten Parkposition bei Startbahn C. Die Crew ist gut gelaunt, mein französischer Sitznachbar ebenfalls, es kann losgehen. Da wir noch gut 30 Minuten auf ein Enteisungsfahrzeug warten sollen, gesellt sich die Chefpurserin zu mir (natürlich auch zu allen anderen HON’s und SEN’s), um mich an Bord willkommen zu heißen und mit mir einen kleinen Plausch zu halten. Ein schöne Geste, wie ich finde.
Weitere 60 Minuten und bereits drei Erdnusspäckchen und zwei Mozartkugeln später, ist von den Enteisungsfahrzeugen noch immer nichts zu sehen. Ich beschließe also, das Entertainmentprogramm anzuknipsen, den Actionfilm Salt anzusehen und weitere Mozartkugeln und Gummibärchen zu konsumieren. Es dämmert bereits, ein Zeichen dafür, dass wir alle schon gut 3 Stunden im Flieger sitzen und sich bisher nichts wirklich bewegt hat. Recht überrascht stelle ich fest, dass der überwiegende Teil der Passagiere inklusive mir selbst immer noch gut gelaunt ist. Im Gegenteil, die Stimmung hellt sich mit der Durchsage des Kapitäns, die Enteisungsfahrzeuge seien eingetroffen, sogar noch auf. Nun kann es also tatsächlich losgehen, ich bin entspannt, jedoch traue ich der Situation noch immer nicht. Zu oft habe ich erlebt, dass lange Wartezeiten letztendlich in einer Annullierung münden. Aber was soll da noch schief bzw. kaputt gehen? Ein Enteisungsfahrzeug beispielsweise. Kaum zu glauben aber wahr, eine erneute Durchsage des Kapitäns, dass eine der Maschinen defekt und damit das Flugzeug nicht enteisbar sei, lässt etwas Resignation in den Gesichtern vieler Reisender erkennen. Es ist 16:00 Uhr, ich werde den Film nicht mehr zu Ende schauen. Nun kommt es wie geahnt. Die Crew wird, sollten wir jetzt noch losfliegen, die zugelassene Höchstarbeitszeit von vierzehn Stunden überschreiten und somit muss der Flug annuliert werden, da keine Ersatzbesatzung bereitsteht. Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass ein derart sanft einsetzender Wintereinbruch für das mir derzeit bekannte und später in noch viel größerem Ausmaß ersichtliche Chaos sorgen wird. Ich nutze die Zeit, um einen Plausch mit der Besatzung zu halten, über dies und das und über die Tatsache, dass das Kabinenpersonal keinen Cent des Lohns sehen wird, da dieser erst gezahlt wird, wenn die Maschine abhebt. Ein Novum auch für mich.
Eine weitere Stunde später treffen endlich Busse am Flieger ein und wir können nach viereinhalb Stunden den Flieger Richtung Terminal wieder verlassen. Die Bilder die sich mir dort zeigen, übertreffen alles mir bisher Gesehene. Hunderte, wohl tausende Menschen stehen, sitzen und liegen in unendlich scheinenden Schlangen an allen geöffneten Ticket- und Check-In Schaltern, um umgebucht, in ein Hotel gebettet oder anderweitig betreut zu werden. Draußen liegen gut fünf bis sieben Zentimeter Schnee!
Da ich keinerlei Informationen über eine womöglich automatisch vorgenommene Umbuchung habe, stelle ich mich an einer der langen Schlangen am First-Class Ticket Schalter an. Erstaunt über mich selbst stelle ich fest, dass mich dies alles in keinster Weise in Rage bringt, ich bin die Ruhe selbst. Ich gewinne der ganzen Szenerie sogar etwas Positives ab. Wann kommt man mit so vielen Leuten in Kontakt um ungezwungen zu plaudern, über alles Mögliche, vor allem jedoch über das entstandene Chaos und die Auswirkungen auf einen selbst. So lerne ich den Managing Director eines großen Reifenherstellers kennen und habe das Vergnügen zu sehen, dass es auch ein Promi wie Ralf Schumacher, der mir für einen kurzen Moment entgeistert in die Augen blickt heißt, sich einzureihen und mit dem Fußvolk der Dinge zu harren. Zwei Stunden später, es ist bereits 20 Uhr, wurde ich auf eigenen Vorschlag hin auf die LX über Zürich nach Chicago für den nächsten Tag umgebucht. Das Ticket selbst lasse ich mir über den Senator-Service scharf schalten. Es ist Dienstag, Tag zwei der Odyssee.
Trotz Stau gelange ich noch rechtzeitig an den Flughafen, um meinen Flieger zu erreichen. Bereits beim Betreten der Abflughalle bin ich überwältigt von der Menschenmasse, die sich in alle Richtungen drängt. Gestrandete aus aller Herren Länder harren der Dinge und hoffen auf ein baldiges Weiterkommen. Ein Hauch von Aggressivität oder sagen wir Anspannung liegt in der Luft. Erneut heißt es auch für mich, mich einzureihen in eine der Schlangen. Als nach 2 Stunden Wartezeit mitgeteilt wird, die Reihe, in welcher ich mich befinde sei nur für Passagiere, die das Gepäck abgeben wollen, ergeben sich tumultartige Szenen. Ich befürchte das Schlimmste, jedoch kehrt bald darauf wieder Beruhigung ein. Meinen Flug mit der Swiss, sowie meinen weiterhin gebuchten Direktflug mit der LH habe ich aufgrund der Wartezeit am Check-In erneut verpasst. Nun bin ich auf die United Airlines nach Chicago gebucht, als Backup auf die LH über Philadelphia. Als klar ist, dass es auch für die United-Maschine äußerst knapp wird, ziehe ich die Notbremse und storniere meine Reise. Ich hab’s geschafft! Voller Erleichterung meiner Entscheidung wegen und sechs  Umbuchungen später, bemühe ich mich noch um mein Gepäck, welches sich irgendwo im Nirgendwo des Flughafens befindet. Dass heute kein Gepäck mehr zugestellt wird ist eine Nachricht, die mich früher in Aufregung versetzt hätte, mir heute jedoch nur ein leichtes Grinsen abverlangt.
Es ist 13:15 Uhr, ich warte bereits wieder 20 Minuten im zugigen Fernbahnhof auf den verspäteten ICE, der mich Hause bringen soll. Dort angekommen versetzt mich nun auch die Straßenbahn mit ihrem Nichterscheinen und ich beschließe zu Fuß die letzten Meter dieser angetretenen Reise zu tun. Es fühlt sich seltsam an. Ich war am Flughafen, gleich zwei Tage in Folge und bin nicht abgehoben. Es fehlt etwas, um diese Reise abzuschließen.
Wenn einer eine Reise tut … Das Vielfliegerleben bietet vieles: die Welt, Eindrücke aller Couleur, den Spaß am Abheben, fliegen und landen und manchmal, wenn auch selten eben auch – das Nichtfliegen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de Blogverzeichnis Blog Top Liste - by TopBlogs.de