Dienstag, 9. November 2010

Von nackten Messedamen und Ex-Wirtschaftsministern


Es ist Dienstag, Dienstag der 09.11.2010. Ausnahmsweise reise ich heute per Treno, also Bahn, also nicht in 10.000m Höhe, sondern sehr geerdet auf baustellengesäumten Trassen ins schöne München, zum Messebesuch. Natürlich hätte ich fliegen können. Nur, wäre dies ökologisch, wie auch ökonomisch vertretbar gewesen?

Irgendwie fühle ich mich fremd, so unter all den Menschen am Bahnsteig, die alle darauf warten, dass nun endlich diese schon wieder verspätete S-Bahn einfährt. Tagein, tagaus das gleiche Spiel denke ich mir. Ich bin doch ganz froh, bisher diesem Trott entkommen zu sein. Nach gut fünfzehn Minuten erreiche ich meinen Umsteigebahnhof. Es bleibt noch Zeit, mir eine Brezel to-Go zu kaufen, dann aber schnell ins Untergeschoss zu eilen, um auf den nächsten Bahnsteig zu gelangen. Ich gehe eiligen Schrittes einen Gang entlang und passiere eine Fensterfront, auf welcher in großen Lettern „DB-Lounge“ steht. Für einen kurzen Moment beschleicht mich das Gefühl einer unter vielen zu sein. Unter vielen Reisenden, die nicht in diese Lounge eintreten und in Ruhe die Wartezeit überbrücken dürfen. Ist es doch so ganz und gar anders, wenn ich mich an Flughäfen befinde und auf dem Weg zum nächsten Gate, ganz selbstverständlich Station in einer der Gold-Lounges mache. Sollte ich anfangen Bahn-Bonuspunkte zu sammeln?
Ich laufe weiter und halte erneut für einen kurzen Moment inne, da mir ein Mann gelassenen Schrittes vor die Füße tritt und mir so den weiteren Weg versperrt. Ich hole schon Luft, um so etwas wie „Hallo?“, „Vorsicht!“ oder gar Rechts vor Links“ zu sagen, lasse dies allerdings schlagartig sein. Nicht, dass ich mich nicht getraut hätte. Der Mann hatte mich schlicht und ergreifend mit seiner Person selbst überrascht. Wer rechnet schon früh morgens damit, dass einem ein Ex-Bundesminister für Wirtschaft fast auf die Füße tritt? Am Flughafen ja, aber am Bahnhof?
Aber auch Wolfgang Clement sollte es nicht verhindern, dass ich meinen ICE nach München verpasse. Schnell eingestiegen finde ich schon meinen reservierten Platz. Zum Glück reserviert denke ich mir, schieben sich doch Hundertschaften an Nichtreservierern durch die engen Gänge der Wagons. Ich sitze und freue mich auf ein kleines Nachschlafen. Was im Flugzeug jedoch durch Turbinen- und Strömungsgeräusche überlagert wird, ist auf dert Schiene unüberhörbar – ein sonores und gleichmäßiges Röcheln und Schnarchen dringt nicht nur durch den Wagonkorridor, sondern auch durch Mark und Knochen. An ein, durch sanftes Hin- und herschaukeln des Zuges begünstigtes Einschlummern ist also vorerst nicht zu denken. Also doch den Laptop ausgepackt, hochgefahren, ins mobile Internet eingeloggt und damit im mobilen Büro angekommen. Vorbei ziehen, untermalt von den mal sanft, mal schnappatmigen Schlafgeräuschen des Vordermannes, herbstliche Landschaften, triste und verlassene Bahnhofseinöden, die ein oder andere Kläranlage und ab und an die „Kaffe, Tee, belegte Brötchen“ Service-Dame der Deutschen Bahn.
Ausgerechnet Bauarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof sollen dazu führen, dass wir unser Fahrziel mit einer, wenn auch knappen, Verspätung erreichen. Sollte nicht ein Baustopp herrschen während der Schlichtungsgespräche? Es muss sich um Gleisarbeiten oder dergleichen handeln überzeuge ich mich selbst.
Messehalle nach Messehalle durchwandere ich also um all meine vereinbarten Termine abzuarbeiten, vorbei an Glasperlen sortierenden Minirobotern, aufwändig gestalteten und rieseigen Messeständen namhafter globaler Unternehmen der Elektonikbranche, sowie einer mit Schaltkreisen bemalten, nackten jungen Dame. Einer nackten Messe-Hostesse, die sich Leiterbahnen und Schaltkreise auf den wohlgeformten, völlig entblößten Körper malen lässt? Ich vergewissere mich noch einmal und stelle fest, dass ich richtig gesehen habe, was unschwer an den zahlreich gezückten und mit Kameras bestückten Mobiltelefonen vorwiegend männlicher Messebesucher, zu erkennen ist. Ich biege ums Eck und sehe bereits in Gedanken das männliche, für einen Hersteller von extrasteifen Rohleiterplatten werbende, Pendant posieren.
Sechs Stunden, etliche Gespräche, einen Nudel- und Salatteller, etlichen Wassern und anderen Kaltgetränken, süßen Stückchen, einem Leberkäse- Teller, in Leopardenkostümen gehüllte Messebesucherinnen und den ein oder anderen weiteren Hingucker später, befinde ich mich erneut auf den Gleisen in Richtung Heimat.
Sollte ich dem verlockenden Angebot, in entspannter Atmosphäre einen Bio-Weißkohleintopf für neuneuroneunzig und ein frisch gezapftes Bier in der Happy-Hour zu mir zunehmen, nachgeben? Während ich für einen kurzen Moment daran denke, die gähnende Leere in meinem Portmonee, sowie die Vorahnung auf die vermeintlich lockere Bahnbistroatmosphäre mich jedoch davon abhalten, ziehen erneut nun in schwarz gehüllte Landschaften und Bahnhofstristesse an mir vorbei. Mit Freude komme ich zu Hause an.

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