Raus aus der Lounge, rein in die Lounge. Gegen 20:20 Uhr mache ich mich am 16.11. auf den Weg zum Gate, die LH 726, ein A340-600 wartet. Nach der Passkontrolle gehe ich noch mal schnell in die SEN-Lounge, meinen Durst stillen. Am Gate H48 ist schon ziemlich was los, mit Vorfreude aufs Nachhausekommen lachende Chinesen, gestresste und müde wirkende Geschäftsleute und ein paar Touristen harren dem Boarding entgegen. Ist mal wieder eine ziemliche SEN (Senator)-Schwemme unterwegs, zu erkennen an den roten Gepäckanhängern mit gleichlautender Aufschrift. Naja, ist ja auch eine Rennstrecke, vor allem für Dienstreisende.
Im Flieger finde ich rasch meinen Platz, 3H, welcher direkt hinter der First-Class liegt. Prima denke ich mir, ich werde als erstes das Essen bekommen und wenig Publikumsverkehr haben.
Schnell schaue ich noch am Zeitschriftenregal vorbei, in diesem Fall der Ablage in den Gepäckfächern. Gerade noch kann ich mir eine Brand Eins und einen Spiegel schnappen, als ich erstaunt und vielleicht auch etwas verärgert zusehe, wie sich mein Nebensteher gleich fünf Zeitschriften greift und damit abdampft. Zurück an meinem Sitz stelle ich fest, dass auch mein Nebensitzer sich gut mit Lesestoff eingedeckt hat. Müssen wohl die anderen 57 Business-Class-Passagiere in die Röhre schauen … Es ist wohl einer dieser Urtriebe, welcher bei manchen unserer Zeitgenossen noch ziemlich stark ausgeprägt zu sein scheint - das Sammeln von Trophäen, Briefmarken und eben Boulevardblättern. Das wird ja eine kurze Nacht für diese Sammler, bei so viel Lesestoff.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, so spät nichts mehr zu essen. Die Aussicht auf möglicherweise 15 Stunden ohne einen Happen in der Magengegend verbringen zu müssen, überzeugte mich jedoch vom Gegenteil. Beim Servieren der Mahlzeiten schweift mein Blick kurz auf das kleine Zettelchen auf dem Boardtrolley, welchen die Stewardess vor sich herschiebt. Dieses kleine, aber unter Vielfliegern wichtige Papier, gibt darüber Auskunft, wer welchen Status innehat. Wie vermutet, finden sich darunter ein HON, mehrere SEN’s und ein paar FTL’ler. Beim Blick auf meinen Namen fällt mir das + hinter dem SEN auf. Sollte ich die nächste kleine Stufe erklommen haben? Mehreren Aussagen aus einschlägigen Foren zufolge, handelt es sich beim SEN+ um einen Quasi Super-SEN, der durch das Personal besondere Aufmerksamkeit erhalten soll. Besondere Aufmerksamkeit? Bisher habe ich davon noch nichts gemerkt, wer weiß was da noch kommen wird.
Es ist schon elf durch und mich beschleicht das Gefühl, dass es keine besonders kluge Entscheidung war, doch noch etwas zu mir zu nehmen – ich fühle mich schwer und werde wohl nicht den gewünschten tiefen Schlaf finden. Meine Hoffnung, durch Artikel über die Idee eines portugiesischen Unternehmers buntes Toilettenpapier zu vermarkten und den Geschäftssinn einer Blondenikone sanft in den Schlaf zu sinken, wird sich zunächst leider nicht erfüllen. Trotzt mehrfachen Drückens auf diverse Knöpfchen meiner Sitzverstellungsfernbedienung, tut sich nichts. Keine Schlafposition, kein irgendwas. Prima, das kann ja was werden. Nachdem sich drei Flugbegleiter vergeblich bemüht haben die Elektrik zu bezirzen, musste die Chef-Purserin ran. Fluchs und mit Hilfe einer kleinen, in Schreibmaschinenlettern getippten Anleitung, sowie manueller Gewalt und unter Beobachtung der interessiert dreinschauenden Nebensitzer, hat sich mein Sitz dann in eine tiefe Liegefläche verwandelt. Jetzt noch ein Gläschen Rotwein und eine Melatonin-Pille eingeworfen und schon kann’s losgehen mit dem Zählen der kleinen Airbuschen und Boinglein, die über den Weidezaun sausen und mir damit beim Einschlafen helfen. Von wegen! Ich hab die Pillen zu Hause vergessen. Dann hilft nur eins, ein zweites Glas Rotwein.
Gute 6-7 Stunden später und einem mehr oder weniger entspannten Schlaf, ziehe ich mir die Schlafbrille vom Kopf und freue mich auf das Frühstück.
Weitere 90 Minuten danach landen wir sanft auf dem Pu-Dong Flughafen von Shanghai. Ich bin angekommen! Wie oft ich schon in China war weiß ich gar nicht mehr. Ich habe aufgehört zu zählen. Ob der möglichen Wartezeit an den Immigrationsschaltern bewusst, eile ich schnellen Schrittes an meinen Mitreisenden vorbei und halte wenig später mein Gepäck in der Hand. Beim Verlassen des Securitybereichs das immer gleiche Schauspiel. Hunderte, ähnlich aussehende lokale Abholbeauftragte, stehen ein Schild in der Hand haltend im Ausgangsbereich. Ich erspähe ein Schild, das als Aufschrift meinen Vornamen trägt. Sollte das mir gelten? Ich folge dem Mann, von dem ich hoffe, dass er für meine Abholung beauftragt wurde und frage ihn nochmals, ob er von meiner Firma dafür eine Order erhalten habe. Erneut nickt er mit dem Kopf, ohne etwas zu sagen. Versteht mich ja ohnehin nicht, wird er sich denken.
20 Minuten nach Abfahrt vom Flughafen tauchen wir ein in die Megacity, den Moloch, welcher heute einmal wieder unter einer Glocke aus Dunst und Staub verschwindet. An den Straßen finden sich noch vereinzelt die Hinweisbanner zur Expo 2010. Nur allzu gerne hätte ich am anstehenden Wochenende diese besucht, wäre sie nicht Ende Oktober beendet worden. Wir passieren das Expogelände mit all den verschiedenen Länderpavillions und stecken in der Rushhour. Es wird gehupt und gedrängelt, von links nach rechts und rechts nach links. Die eben noch auf den Autobahnen mehr oder weniger vorhandene Ordnung geht über in ein geordnetes Chaos. Wieviele Unfälle wohl an einem Tag in Shanghai passieren?
Das Hotel ist mir bekannt. Das Goldkärtchen, den Pass und die Kreditkarte gezückt, ein Upgrade erhalten und schon finde ich mich im 57. Stock des Hotels. Wie immer genieße ich den Ausblick auf die bunten Lichter der Stadt, die dank des sich gelichteten Dunstschleiers ein wahrhaft imposantes Bild der Megametropole abgeben.
Gegen halb neun Uhr abends bin ich nach einem Abendessen mit meinem Kollegen wieder auf dem Zimmer. Die erste von sieben asiatischen Nächten wartet.
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